Die illustrierte Frau

 

Petra Pape – „Die illustrierte Frau“

Text zur der aktuellen Ausstellung „vergehe und werde“ von Petra Pape im Künstlerhaus BEM Adam

 

Ray Bradbury veröffentlichte 1951 die Geschichtensammlung „Der illustrierte Mann“. In der Rahmenhandlung  begegnen wir einem Wanderer, dessen Haut über und über mit Bildern bedeckt ist, die ihm von einer Zauberin tätowiert wurden. Abends geraten einzelne dieser Körperbilder in Bewegung und wie in einem kleinen Film erzählen sie Geschichten einer möglichen Zukunft. In dieser Romanidee wird das Statische und Dauerhafte in Bewegung und Zeit umgewandelt. Bei Bradbury ist das Ausgangsbild als Tätowierung in die obere Körperschicht eingelagert, während es als bewegte Bilderfolge sich entmaterialisiert und als filmische Projektion auf einer Hautstelle erlebt wird.

Was Bradbury mit Worten skizziert – die Erzählkraft und die Wirkmächtigkeit des Bildes auf menschlicher Haut -, visualisiert Petra Pape in einer eigenen komplexen Bildsprache. Dabei ergibt sich die Vielschichtigkeit aus der Projektion des Bildes auf einen nackten Körper vor einer Wand. In der vorderen Bildebene bestimmt die Kontur des Körpers eine organische Bildform. Irritierend, weil die Seherfahrung an eckige Formate gewöhnt ist, wie sie die fertige Arbeit ihm auch bietet. Da wir es aber mit einem konkreten Lichtbild zu tun haben, kann der reale Körper je nach Position der Lichtquelle, auch noch Schlagschatten werfen, seine dunkle Formverdopplung. Nicht zuletzt zeigen sich dann die verbliebenen Bildteile an der weißen Wandfläche. Der Betrachter ist also gefordert. Er muss die Bildteile nicht nur identifizieren und zuordnen, er muss sie gedanklich verknüpfen und deuten. Man ahnt, dass es zwischen realem Körper und aufprojiziertem Bild eine starke emotionale, wenn nicht sogar existenzielle Bindung geben muss. Bei den Bildern, die den gewölbten Bauch der Schwangeren einhüllen, zeigt sich das noch Unsichtbare. Leben, das vor der Entdeckung des Ultraschalls nur gespürt werden konnte, das erst mit seiner Geburt seine Sichtbarkeit erhält. Ein Ultraschallfoto ist meilenweit entfernt von der farbigen, körpernahen Sinnlichkeit und dem zugewandt Ausdrucksvollen späterer Kinderfotos. Es ist ein Produkt aus Technik und Wissenschaft und dient der Medizin. Der Arzt sieht Anderes und mehr als die Eltern. Diese bilden aus den fremden optischen Daten von Knochenbau und Organen eine Vorstellung von dem Wesen, mit dem sie die Zukunft teilen werden.

An der Vergangenheit teilzunehmen versucht Petra Pape, indem sie zu Fotos aus ihrer Familie greift, von denen die sie die Meisten aus der Generation der Eltern oder Großeltern kaum oder gar nicht kennt. Damit fehlen auch die Geschichten, die einem helfen, sich zu verorten und zu verstehen. Die Familie kann ein hilfreiches Spiegelkabinett sein, das äußere Merkmale und Verhaltensweisen erklärt. „Genau wie dein Vater!“ Die Projektion ihrer Fotos ermöglicht verschiedene Umgangsweisen mit ihr. Ich kann mich passiv von dem Bild bestrahlen lassen und nach Übereinstimmungen suchen, ich kann ebenso aktiv in die Bildprojektion hineintreten, mich in ihr bewegen und sie wieder verlassen. So ist der Großvater in seiner Wehrmachtsuniform nur eine temporäre Überlagerung. Ein Hineinspüren in eine fremde, totalitäre Zeit. Ein Beobachten, was das auslöst. Doch keine totale Identifikation, denn neben der leiblichen Familie gibt es auch noch die Wahlverwandtschaften.

 

In der Bunkerausstellung 2018 hängt Petra Pape eine Reihe unterschiedlich großer Stickrahmen an die Wand. Sie enthalten auf alten Stoffen gedruckte Portraitfotos von Angehörigen aus der eigenen Familie und aus Familien ihres Freundeskreises. Was sie verbindet, ist die Aufnahmezeit um den Zweiten Weltkrieg herum. Sie haben Vergleichbares erlebt, das verbindet auch ohne familiäre Beziehung. Ihre Geschichten werden sich ähneln. Sie sind auf dem gleichen alten Damast gedruckt, der in der bürgerlichen Familie zu jeder Aussteuer der Tochter gehörte, und in den das Familienmonogramm hinein gestickt wurde. Petra Pape hingegen fixiert gestochen scharf die Fragen nach dem eigenen Woher und Wohin. Vergehe und werde…

 

von Georg Sand