Petra Gillhaus – drunter und drüber

 

  Petra Gillhaus – Acryl auf Leinwand, 50x70cm, 2021

 

Petra Gillhaus   drunter + drüber

 

Ausstellung vom 02. April bis 15. Mai 2022

Künstlerhaus BEM Adam

Teinenkamp 43, 59494 Soest

Öffnungszeiten Sa. und So. 15 bis 17 Uhr oder nach Vereinbarung

 

Schichtarbeit – drunter und drüber

Für Kunstwissenschaftler sind es spannende Erfahrungen, wenn Untersuchungen eines alten Gemäldes ergeben, dass es ursprünglich etwas anders aussah. Van Eyck übermalte beispielsweise in einem Madonnenbild von 1435 den Geldbeutel des Kanzlers Rolin von Burgund und gab dem Jesusknaben einen erhobenen, segnenden Arm. Der mächtige Mann verzichtet auf sein politisches Statussymbol und betont seinen christlichen Glauben.

Im gegenständlichen Bild werden solche Veränderungen vor allem unter dem Aspekt der Bedeutungsverschiebung wahrgenommen. Welchen Stellenwert aber haben Übermalungen in der gegenstandslosen Malerei?

Petra Gillhaus‘ Arbeiten durchlaufen selten einen linearen Entstehungsprozess. Der erste Farbauftrag gibt wenig bis gar keine Hinweise auf das endgültige Bild. Großzügig gesetzte Farbflächen bilden den Auftakt. Ein Farbklang entsteht und ein erstes Kompositionsgerüst. Danach beginnt eine Phase der Farbdifferenzierung, indem Lasuren unterschiedlichster Transparenz eine Vielfalt an Zwischentönen und auch an Kontrasten erzeugen.

Da werden nicht nur Helligkeiten abgestuft. Mit dem Über- und Nebeneinander der Farbschichten kommt es zu optischen Mischungen und Wirkungen von Simultan – Kontrasten. Als Folge beginnen die Farbfelder zu vibrieren, und es werden netzartige Bezüge in der Farbverteilung gebildet. Ein deckend aufgetragenes Grün taucht als Lasur teilweise in einem kräftigem Gelb an anderer Stelle auf und verschiebt es hier zu einem Gelbgrün. Das partielle Übermalen leistet also wichtige Beiträge für Farbe und Komposition.

Petra Gillhaus – Acryl auf Leinwand 60x90cm

In diese analytische Reflexion muss Farbe auch als Farbmaterie einbezogen werden, die mit einem Werkzeug aufgetragen wird. Für den Schichtungsablauf – für das ‚drunter und drüber‘ also – ergeben sich weitere interessante Möglichkeiten. Petra Gillhaus weiß das in ihren Arbeiten zu nutzen. Acrylfarbe, Binder, Schellack, Stifte, Kreiden … Mit jedem Farbmaterial verbinden sich spezifische Techniken und Spuren. 

Petra Gillhaus – Acryl auf Leinwand, 65×105 cm

Wesentlich beteiligt an der Wirkung ist natürlich das Werkzeug. Pinsel in jeder Breite, weiche und harte haben sich angesammelt und warten auf ihren Einsatz, sei es für nahtlose Übergänge oder für den trockenen Pinselstrich. Beim ‚trockenen Pinsel‘ wird die aufgenommene Farbe vor dem eigentlichen Malen am Mallappen teilweise wieder ausgedrückt, so dass sich die Pinselhaare beim Auftrag auffächern. Als ‚Drunter‘ erscheint die Farbfläche, als ‚Drüber‘ die Spur paralleler Linien.

Mit dem Einsatz des trockenen Pinsels deutet sich auch schon die Kombination von Malerischem und Grafischem an, wie sie am Ende des Malprozesses erscheint. In freiem Verlauf durchziehen von Tusche und Oelkreiden gesetzte Linien in variierender Breite und Helligkeit die Farbfelder und verleugnen nicht ihre realen Vorbilder – Flussdelta oder Astverzweigung.

Petra Gillhaus – Acryl auf Leinwand, 70x100cm, gerahmt, 2021

Petra Gillhaus‘ Arbeiten lassen sich mit geologischen Schichtungen vergleichen. Würde man mit einem Skalpell einen Tiefenschnitt vornehmen, könnte man auch auf eingeklebte Papiere stoßen, die nach ihrer Übermalung der Oberfläche eine haptische Qualität geben.

Kehren wir zur Anfangsfrage zurück. Kann das ‚Übermalen‘ bei gegenstandslosen Bildern eine Bedeutungsverschiebung beinhalten, oder ist es nur ein ästhetisches Eingreifen – ein Entwickeln und Korrigieren? Diese Gretchenfrage kann am besten beantwortet werden, indem man neben das Bild die zwei Menschen stellt, die es zu seiner Existenz braucht.

Die Malerin hat mit dem ersten Pinselstrich ein Gespräch mit sich selbst begonnen, indem sie Fragen aufwirft und nach Antworten sucht. Ein Zuviel an Rot kann wie eine aggressive Bemerkung daherkommen. Will die Malerin das? Besser also, es zu dämpfen. Eine Farb-Form-Folge erscheint wie eine holprige Verszeile. Also muss die Syntax geändert werden. So ist eben nichts ohne Bedeutung. Man muss sich dessen allerdings bewusst sein.

Petra Gillhaus – Mischtechnik auf Karton, 30x30cm

Und so ist der zweite Mensch gefordert. Wer sich einem Bild von Petra Gillhaus zuwendet, kann sich nicht an einer Symbolik des Gegenständlichen orientieren, um das immer präsente Ziel ihrer Malerei zu finden – Ausgleich, Balance als Form von Kunst- und Lebenshaltung. Solange das nicht erreicht ist, greift die Schichtarbeit.

Petra Gillhaus – Acryl auf Leinwand, 70x90cm